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Lipedema Awareness Month

Lipödem – Bericht einer Betroffenen

 

Im Monat Juni gilt es, das Bewusstsein für das Krankheitsbild Lipödem zu schärfen. Allein in Deutschland gibt es ca. 3,8 Millionen Betroffene – fast ausschließlich Frauen.  

Jenny, 33 Jahre alt, hat 2021 die Diagnose Lipödem im Stadium 2 bekommen. In einem Interview mit uns teilt sie ihre Erfahrungen mit der Krankheit, ihrer Diagnose und den ersten Schritten der Therapie.

Jenny, wann ist dir das erste Mal aufgefallen, dass mit deiner Fettverteilung etwas nicht stimmt? 

Das war tatsächlich sehr früh. Als ich angefangen habe die Pille zu nehmen, ist mir aufgefallen, dass ich immer mehr zunehme ohne eine Veränderung meiner Ernährung. Heute weiß ich, dass Hormone diese Krankheit unterstützen. 

Und wie lange hat es gedauert, bis du die Diagnose Lipödem bekommen hast? 

Das muss so Anfang 2021 gewesen sein. 

Okay, dass ist relativ spät, dafür, dass es in der Pubertät angefangen hat. Wie war denn die Zeit vor der Diagnose für dich? 

Es war eine Herausforderung! Ich bemerkte, wie meine Bewegungen zunehmend eingeschränkt wurden. Das Erklimmen einer Treppe bedeutete Schweißausbrüche und sogar das Föhnen meiner Haare erforderte Pausen, da meine Arme anfingen zu zittern. Schließlich erkannte ich, dass es nicht an mir lag, denn meine Ernährung war gesund und meine Lebensweise hatte vor diesem Krankheitsbild keine Einschränkungen. Trotzdem baute mein Körper immer mehr ab. 

Und dann kam die Diagnose?

Nein, zuerst traten die Vorurteile auf. Ich suchte Hilfe bei zahlreichen Ärzten, doch fast alle empfahlen mir das Gleiche: Meine Ernährung umzustellen, mehr Sport zu treiben oder – mein persönlicher Favorit – mich einfach nicht so gehen zu lassen! 

Das muss sehr frustrierend gewesen sein. Wie ist denn dein direktes Umfeld mit deiner gesundheitlichen Veränderung umgegangen? 

Um ehrlich zu sein, haben diese besonderen Menschen mein Leben gerettet! Ob es nun meine Familie oder Freunde sind, sie haben mir immer zugehört, mich unterstützt und mir geholfen, während ich mit meinem Lipödem zu kämpfen hatte. Während ich mich von meinem Freundeskreis distanzierte, da ich bei vielen Aktivitäten wie Fahrradtouren nicht mithalten konnte, haben sie mich nicht im Stich gelassen. Meine Familie war genauso frustriert wie ich und gemeinsam haben sie unermüdlich recherchiert, um eine Lösung zu finden.  

Und wie kam es dann zu der Diagnose? 

Zu dem Zeitpunkt war ich als Physiotherapeutin tätig und habe täglich Patienten mit der Diagnose behandelt. Ich habe eine Weile gebraucht, um mir einzugestehen, dass es sich auch bei mir um das Krankheitsbild Lipödem handelt, aber als es immer schlimmer wurde, musste ich handeln und wusste Gott sei Dank an wen ich mich wenden kann, um die Diagnose zu bekommen. 

Wie sind die Ärzte ab da mit dir umgegangen? 

Naja, manche hatten starke Zweifel an der Diagnose und mir weiterhin nahegelegt, meine Lebensweise zu verändern. Tatsächlich gab es zu diesem Zeitpunkt nur zwei Ärzte, die mich auf den richtigen Weg geführt haben. Einmal meine Frauenärztin und meine Gefäßchirurgin. 

Lipödem ist ja eine chronische Erkrankung, für die es keine Heilung gibt, wie sah denn dein richtiger Weg aus?

Angefangen hat es mit Kompressionsstrümpfen, ging weiter über die Vermittlung zu den richtigen Ärzten und hat auch bei der Lösungssuche nicht aufgehört. Für mich war schnell klar, dass ich mich operieren lassen will, da das mit der einzige Weg ist, um meine Lebensqualität zurückzubekommen. Beide Ärztinnen stehen mir auch noch heute mit Rat und Tat zur Seite, schreiben Rezepte und Briefe an die Krankenkasse und unterstützen mich, wo sie können. 

Wie genau ist denn die Krankenkasse mit deiner Diagnose umgegangen?

Für die Eindämmung der Krankheit wurden mir unzählige Rezepte geschrieben. Von Kompressionsstrümpfen bis hin zu einem Lymphomat. Da hat mich die Krankenkasse ohne Mux unterstützt. Nur die OP-Kosten konnten sie leider nicht übernehmen, da zu diesem Zeitpunkt nur Stadium 3 unterstützt wurde. 

Das heißt, die war von Anfang an klar, dass du selbst aktiv werden musst, wenn sich was ändern soll? 

Auch hier jein. Mir wurde gesagt, dass meine Chancen gering seien, aber ich entschied mich dennoch, es zu versuchen und beantragte einen entsprechenden Antrag, jedoch schien es mir, als ob man mich davon abhalten wollte, eine Operation durchführen zu lassen. Es wurden Ernährungsberatungen, psychologische Untersuchungen und andere Therapien vorgeschlagen, die jedoch keine Wirkung zeigten. Aufgrund meiner Verzweiflung entschloss ich mich, den schnellen Weg zu gehen und die Operation selbst zu finanzieren.  

Was wurde denn in diesem Zuge alles gemacht und wie viel musstest du dafür zahlen? 

Im Zeitraum von Dezember 2021 bis September 2022 hatte ich 5 Operationen. 1x an den Armen, 3x Beine und Gesäß und einmal am Bauch und der Kinnpartie. Dabei habe ich 31l Fett verloren, was eine Fettreduktion von 20kg bedeutet. Für diese 5 OPs habe ich circa 30.000 Euro gezahlt. 

Bist du denn jetzt „fertig“ oder kommen noch weitere Operationen?

Theoretisch bin ich fertig, praktisch spiele ich mit dem Gedanken, mich nochmal am Bauch operieren zu lassen. Das wäre aber eine rein ästhetische Operation. Das sollte wirklich jedem klar sein, der sich einer solchen OP aussetzt. Man kommt nicht mit einem makellosen und straffen Körper aus dem OP. Hautfalten bleiben und Dellen können entstehen! Aber mir sind Hautfalten und Dellen hundertmal lieber, wenn ich dafür meine Lebensqualität bekomme. 

Wie ist denn deine Lebensqualität nach der OP?

Einfach nur WOW! Klar, die ersten 6 Wochen musste ich mich einschränken, spezielle Mieder tragen, stark auf meine Ernährung achten und mich vor allem schonen, aber seitdem kann ich endlich wieder schmerzfrei und aktiv Abenteuer erleben. 

Wie sieht die Prognose der Ärzte für deine Zukunft aus?

Das kann mir leider niemand sagen. Es handelt sich ja um eine unheilbare chronische Erkrankung, bei der sich kranke Fettzellen ansammeln. Nur weil ich durch eine Operation, meine vergangenen kranken Fettzellen verloren habe, heißt es nicht, dass sich keine neue bilden werden. Was ich weiß, ist, dass ich im jetzt lebe und es nehme, wie es kommt und ich bin auch bereit mich nochmal einer OP zu unterziehen, um meine jetzige Lebensqualität zu halten. Den Rest zeigt die Zukunft. 

Was wünschst du dir im Umgang mit diesem Thema?

Viel mehr Aufklärung. Die Art und Weise wie die Ärzte mir, ganz unbewusst, zugesetzt haben, hat mich teilweise echt fertig gemacht. Ich weiß, dass es Kongresse wie den Lipedema World Congress in Potsdam gibt, allerdings würde ich mir wünschen, dass viel mehr Ärzte außerhalb der plastischen Chirurgie daran teilnehmen würden. Mir ist bewusst, dass meine Ärzte es nicht böse gemeint haben, sie sind einfach nicht genug über dieses Thema aufgeklärt. Umso wichtiger finde ich es, dass sie sich gerade in Bezug auf so weitreichende Krankheiten wie Lipödem, immerhin ist jede 10te Frau betroffen, informieren. Nur so kann uns geholfen werden, ohne dass es zu einer noch deprimierenderen Angelegenheit wird, wie sie sowieso schon ist. 

 

Lipedema Awareness Month

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