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Reisebericht reVulv
18. Januar bis 2. Februar 2025

Im Rahmen des reVulv-Projekts reiste eine Delegation des Vereins NESDI e.V. mit den Ärztinnen Dr. Maryam En-Nosse und Dr. Isabel Runge, Expertinnen auf dem Gebiet FGM/C (weibliche Genitalverstümmelung) und rekonstruktive Operationen der Vulva, Ende Januar 2025 für zwei Wochen nach Moshi, Tansania.

Das Projekt reVulv zielt darauf ab, ein Kompetenzzentrum zur Verbesserung der medizinischen Versorgung und Etablierung der mikrochirurgischen Rekonstruktion von Vulva und Klitoris nach FGM/C in Ostafrika aufzubauen.

Projektpartner und Ziele
NESDI und die deutschen Ärztinnen arbeiten eng mit der Partnerorganisation NAFGEM aus Moshi und den Ärzt:innen des örtlichen Kilimanjaro Christian Medical Center (KCMC) zusammen. Ziel des Aufenthalts war es, bisherige Strukturen zu festigen, offiziell bindende Absprachen unter den Projektpartnern zu treffen und die Arbeit am KCMC in Form einer FGM/C-Sprechstunde und ersten Operationen zu beginnen.

Erste Woche: Aufbau von Strukturen und Austausch
Die ersten Tage verbrachten wir deshalb im Krankenhaus, wo unsere tansanischen Kolleg:innen, darunter Oberärztin Dr. Nasra Batchu, Chefarzt Dr. Bariki, Dekan Prof. Pendo und Klinikdirektor Prof. Massenga, erneut ihre Unterstützung für das Projekt aussprachen. Wir trafen in Form eines Memorandum of Understanding (MoU) verbindliche Übereinkünfte über die Aufgaben der verschiedenen Projektpartner. So konnten Zuständigkeiten, wie die Vorbereitung des Operationssaals, Sterilisation und Aufbewahrung der Instrumente, Lehre und Weiterbildungsinhalte für die Studierenden und Ärzt:innen und die organisatorischen Aufgaben für die Vor- und Nachbetreuung der Patient:innen festgelegt werden. In einer feierlichen Zeremonie übergaben wir der Klinik das notwendige Operationsinstrumentarium, das durch großzügige Spenden von Firmen und Privatpersonen zusammengetragen wurde. Diese Unterstützung ist entscheidend für den Erfolg von reVulv.

Zudem stand in der ersten Woche die Vermittlung unseres Vorhabens gegenüber den lokalen Verantwortlichen und der Austausch mit Betroffenen im Vordergrund, weswegen wir gemeinsam mit NAFGEM und Dr. Nasra Batchu in den Distrikt Simanjiro fuhren. Simanjiro liegt in der Manyara-Region, wo die Prävalenz von FGM/C mit 43% deutlich höher ist als der nationale Durchschnitt von 8% in Tansania. Besonders unter den Maasai wird FGM/C praktiziert, was NAFGEM dazu veranlasst hat, hier einen Standort zu eröffnen und seit 2011 Aufklärungsarbeit zu leisten.

Nur mit der Unterstützung der Regierung und des örtlichen Gesundheitspersonals sowie der Bereitschaft der Betroffenen selbst kann ein solches Projekt erfolgreich werden. Dazu fanden unter anderem Gespräche mit den örtlichen Behörden, dem District Medical Officer und mit Ärzt:innen, Hebammen und Pflegepersonal des Distriktkrankenhauses statt.

Wir nutzten den Aufenthalt zudem, um kulturelles Verständnis aufzubauen, betroffene Frauen medizinisch zu beraten und ihnen den Weg zu einer möglichen Operation am Kilimanjaro Christian Medical Center (KCMC) zu ebnen.

Insbesondere die Gespräche mit betroffenen Frauen waren überaus aufschlussreich und bewegend und wir bekamen wertvolle Einblicke in ihre Bedürfnisse. Viele von FGM/C betroffene Frauen leiden an den Folgen der Beschneidung, seien es, Narbenschmerzen und -wucherungen, wiederkehrende Infektionen, Scheidentrockenheit, Schmerzen beim Wasserlassen und beim Geschlechtsverkehr, der Verlust von sexuellem Lustempfinden und der Sensibilität der Klitoris. Durch das nicht mehr dehnbare Narbengewebe am Genital erleiden sie häufiger ausgedehnte Geburtsverletzungen, die schwer zu versorgen und zu starken Blutungen führen können.

Auch der Austausch mit ehemaligen Beschneiderinnen, die nun durch die Hilfe von NAFGEM alternative Einkommensmöglichkeiten gefunden haben, war beeindruckend. Diese Frauen engagieren sich aktiv in der Aufklärung der Dorfgemeinschaften und tragen so dazu bei, FGM/C langsam zu überwinden. Für uns werden sie als Multiplikatorinnen wirken und Frauen etwa mit Beschwerden nach FGM/C über die Möglichkeit einer medizinischen Behandlung informieren, denn den meisten Frauen ist der Zusammenhang zwischen ihren Beschwerden und FGM/C nicht klar. Unser medizinisches Angebot, insbesondere die anatomische Rekonstruktion von Vulva und Klitoris kann diese Beschwerden jedoch beheben und diese Information geben wir ihnen in den Gesprächsrunden mit auf den Weg. Durch die Zusammenarbeit von NAFGEM mit den lokalen Akteur:innen im Gesundheitswesen wird die Vor- und Nachbetreuung der Frauen gewährleistet.

Zweite Woche: Ausbildung und erste Operationen
Zurück in Moschi, standen die Ausbildung der Studierenden und Ärzt:innen sowie der Aufbau der notwendigen Strukturen für das Kompetenzzentrum am KCMC im Mittelpunkt. Nach einem Vortrag zu den soziokulturellen Hintergründen von FGM/C in Tansania durch NAFGEM, gaben die plastischen Chirurgen PD Dr. Dan mon O’Dey und Dr. Dominik Boliglowa aus Deutschland und Polen eine Einführung in die Grundlagen der plastischen rekonstruktiven Chirurgie und spezifischen mikrochirurgischen Techniken, die für die Rekonstruktion der Vulva und Klitoris erforderlich sind. PD Dr. Dan mon O’Dey hat speziell hierfür eine Operationstechnik in jahrelanger Forschung entwickelt, bei der die Form und Funktion der Klitorisspitze, aber auch Vulvalippen wiederhergestellt werden können. Ziel dieser Operationen ist nicht nur die Wiederherstellung der Form der Vulva, sondern vielmehr, Schmerzen zu reduzieren, geburtshilfliche Risiken zu senken und die Sensibilität der Klitorisspitze zu verbessern. Es geht jedoch auch darum, sexuelle Selbstbestimmung und Frauenrechte wiederzuerlangen. Die Technik von PD Dr. O’Dey wird international anerkannt und findet sich in deutschen Leitlinien wieder.

Das anschließende praktische Training mit Lupenbrille und mikrochirurgischen Instrumenten stellte auch erfahrene ChirurgInnen vor eine Herausforderung. Dieses Training ist jedoch entscheidend, um die Nerven der Klitoris während der Operationen präzise darzustellen und akkurat zu operieren. Diese spezifische Ausbildung ist die Grundlage, um das Projekt unabhängig und nachhaltig zu gestalten. Denn die Operationen sollen im Verlauf von den tansanischen Ärzt:innen selbst durchgeführt werden und das Thema wird Inhalt des Studiums und der ärztlichen Weiterbildung.

Schließlich konnte in der zweiten Woche ein entscheidender Meilenstein erreicht werden: Dr. Maryam En-Nosse, die von PD Dr. O’Dey in seiner rekonstruktiven Technik ausgebildet wurde und Dr. Nasra Batchu führten erfolgreich und gemeinsam die erste mikrochirurgische Klitorisrekonstruktion am KCMC Hospital durch am KCMC und in den folgenden Tagen folgten weitere Operationen. Nach zweieinhalb Jahren Arbeit markiert das den offiziellen Beginn des Kompetenzzentrums für die Versorgung von FGM/C-betroffenen Frauen am KCMC. Es ist damit in seiner Art über die Grenzen Tansanias hinaus einzigartig.

Fazit und Ausblick
So wurde am Ende der zwei Wochen klar: Das Projekt steht auf stabilen Beinen, und die Arbeit wird weitergehen. Die Lehre wird fortgesetzt, die mikrochirurgischen Fähigkeiten weiter verfeinert und die nächsten gemeinsamen Operationen geplant. Das Team ist zusammengewachsen, unsere Partnerschaften haben sich gefestigt und wir können positiv in die Zukunft blicken.
Als Abschluss dieses intensiven und inspirierenden Aufenthalts bleibt ein Zitat der ersten operierten Frau, das die Relevanz des Projekts aufzeigt. Am Tag nach der erfolgreichen Rekonstruktion sagte sie zu uns:
„I am a complete woman now.“

Reisebericht Revulv

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